Freitag, 16. Januar 2015

Halbzeit

Genau heute ist der Tag der Halbzeit! Jetzt kann ich die Tage nur noch runterzählen und der Tag meiner Abreise fühlt sich nicht mehr so weit entfernt an. Für mich ist es unglaublich, aber (leider) war.

In den letzten Tage musste ich ein Dankesschreiben an meinen Stipentiengeber verfassen und von meinen Erlebnissen der ersten Hälfte meines Auslandsjahres berrichten. Ich denke heute ist der richtige Tag dieses Schreiben auch hier zu veröffentlichen, auch wenn die, die meinen Blog regelmäßig verfolgens sicher schon vieles bekannt ist. Es ist viel Text geworden, aber ist ist auch nicht einfach gewesen alles, was man in einem halben Jahr erlebt hat, zusammen zu fassen, ohne das es ein Roman wird.


Bom dia, Amigos! Ich bin Lena, 17 Jahre alt und verbringe gerade mit AFS Interkulturelle Begegnungen und einem Teilstipendium der Adolf Würth GmbH ein Jahr in Brasilien, genauer gesagt in Lauro de Freitas, einem Vorort von der im Nordosten gelegenen Metropole Salvador. Das Land Brasilien ist riesig und so unterscheiden sich auch die Kulturen in den verschiedenen Teilen des Landes, deswegen lassen sich meine Aussagen nicht auf das ganze Land beziehen. Trotzdem will ich euch von dem Brasilien, welches ich kennenlernen durfte, erzählen.



Ich bin jetzt wirklich schon 5 Monate in Brasilien und kann noch gar nicht richtig glauben, dass es quasi Halbzeit ist, denn die Zeit vergeht mir einfach viel zu schnell. Dabei fühlt es sich manchmal doch noch wie gestern an, als ich mich damals vor einem halben Jahr von meinen Eltern und Freunden verabschieden musste und mich mit all den anderen Austauschschülern auf die weite Reise ins ferne Brasilien gemacht habe. Und auch wenn anfangs alles so fremd war, habe ich hier meine zweite Heimat gefunden und muss ehrlich sagen, dass ich diese Entscheidung ins Ausland zu gehen noch nicht einmal bereut habe.



Aller Anfang ist schwer



Dabei war mein Start alles andere als gut. Nach der großen Freude und Überwältigung nach der Ankunft , rauschte meine Achterbahn der Gefühle ganz weit nach unten und die Enttäuschung machte sich breit. Meine Gastfamilie lebte in einer für mich ziemlich gefährlichen und auch ärmlicheren Teil der Stadt. Ich durfte nicht allein das Haus verlassen, mich mit Freunden verabreden, fühlte mich in dem Haus wie eingesperrt und dass die Familie keine Zeit für mich hatte und auch kaum mit mir redete,ich quasi ignoriert wurde, machte alles nur noch schlimmer. Es war ein großer Schock für mich unter diesen extrem anderen Bedingungen zu leben, so eingeschränkt zu sein, denn ich kannte bisher ja nur das Leben im sicheren und reichen Deutschland. Für mich war dann definitiv klar, dass ich meine Gastfamilie wechseln muss und seitdem lebe ich in einer neuen Familie, bestehend aus meinen zwei Gasteltern, die ich sehr lieb gewonnen habe.



Von der unteren Mittelschicht zur Elite, so fühlte sich der Wechsel für mich an und so kann ich sagen, dass ich das Leben beider Seiten kennengelernt habe, denn so ist Brasilien nun mal – tief gespalten in seinen sozialen Schichten und jeder will sein Hab und Gut mit aller Macht beschützen. Kriminalität und Sicherheit haben hier eine ganz andere Bedeutung. Noch nie vorher in meinem Leben habe ich eine Favela gesehen, es gibt bestimmte Orte die man  nicht passieren sollte und sobald es dunkel ist, ist es besser nicht mehr draußen herum zu laufen. Viele Dinge sind gefährlich, besonders, wenn man Ausländer ist und so ich habe vor allem in den ersten Wochen und Monaten mein Leben in Deutschland zu schätzen gelernt, durch die enormen Kontraste, die einem erst bewusst werden, wenn man sie selbst erlebt.



Fasziniert von Land und Leuten



Brasilien ist wie eine andere Welt und ich fühlte mich anfangs wie ein Alien, der versehentlich hier gelandet ist und so wurde und werde ich auch immer noch von den Leuten die hier leben angestarrt. Als Blondine in Salvador, der Stadt mit dem höchsten Anteil schwarzer Bevölkerung, fällt man eben auf. Dabei sind die Brasilianer aber ein wunderbares Volk, sehr herzlich und freundlich. Zur Begrüßung wird man umarmt, es gibt ein Küsschen auf die Wange links und rechts und man bekommt die Frage „Tudo bem?“ ( Wie geht’s?) gestellt, egal ob man die Person schon lange kennt oder noch nie zuvor gesehen hat. Diese Lebensfreude und Offenheit der Leute hier fasziniert mich sehr. Sie kommen auf einen zu, sind interessiert, wollen mit einem reden, auch wenn man Portugiesisch vielleicht noch nicht gut beherrscht. Das alles färbt sich auch ein bischen auf mich ab, denn ich merke selbst, dass ich selbstbewusster und glücklicher geworden bin.



Pünktlichkeit? Das ist nicht gerade die Stärke der Brasilianer. Oft wird es sogar als unhöflich angesehen, wenn man zum ausgemachten Zeitpunkt erscheint. Genauso wenig wird es mit Verabredungen ernst genommen. Also wenn jemand zu dir sagt, „Lass uns morgen etwas unternehmen. Ich rufe dich an!“, dann solltest du besser nicht davon ausgehen, dass du wirklich einen Anruf bekommst, sondern lieber noch mal nachhaken.



Ich wohne nah an Salvador und liebe diese Stadt. Der Mix aus Moderne, den vielen antiken Häusern im portugiesischem Stil und die Nähe zum Meer machen einen besonderen Reiz aus. Und wenn man erstmal aus der Großstadt heraus ist, sieht man auch die wunderschöne Natur. Palmen und Kakteen wachsen überall, es gibt traumhafte Strände mit tiefblauem Wasser und weißem Sandstrand, der sogar nur 10 Minuten zu Fuß von meinem Haus entfernt ist. Ich fühle mich deshalb schon ein bisschen so, als würde ich im Paradies leben.



Ein etwas anderer Alltag



Mit der Zeit werde ich aber auch immer mehr zur kleinen Brasilianerin, dusche mindestens einmal täglich, esse Mittags immer Reis mit Bohnen, gehe wie alle anderen ins Fitness-Center, verbringe viel Zeit am Strand und gehe surfen.



Viele Jugendlich gehen gemeinsam Shoppen, ins Kino, treiben Sport (besonders beliebt sind Fitness-Center, Fußball oder Tanzen). Oftmals trifft man sich aber auch einfach zu Hause, macht ein Churrasco (Brasilianisches Barbeque mit sehr viel Fleisch) und hört dazu brasilianische Musik. Hier gibt es nämlich weit mehr, als nur Samba oder kennt ihr etwa Axé, Forró, Pagode oder Funk? Dann wird es Zeit! Am Wochenende gibt es viele Feste und Partys, die oft bis in die frühen Morgenstunden andauern und man in den Genuss der verschiedensten Musiktypen kommt. Dabei bleibt kein Brasilianer still auf seinem Stuhl sitzen, denn die Leute hier können Tanzen, und wie! Lasst es euch von ihnen beibringen und habt keine Angst, denn es wird euch keiner auslachen, falls ihr den Hüftschwung noch nicht so gut drauf habt.



Auch die Schule, die ich hier besuche, ist absolut anders. Und zwar nicht nur, dass ich eine Schuluniform tragen und früher aufstehen muss. Der Lehrer wird eher als Freund gesehen, mit dem man über das Wochenende plaudert oder Scherze macht. Dabei geht der Respekt natürlich schnell mal verloren. Von Disziplin fehlt hier auch jede Spur, jeder spielt mit seinem Handy herum, liegt mit dem Kopf auf der Bank und schläft, unterhält sich lautstark oder steht einfach auf und geht aus dem Klassenzimmer. Das war zu Beginn ein großer Schock für mich, aber nach einer Weile lernt man sich auch daran anzupassen und weil ich vom Unterricht sowieso noch nicht alles verstehen kann, vertreibe ich mir die Zeit und unterhalte mich mit den anderen.



Freunde in meiner Klasse, mit denen ich auch nachmittags mal was unternehme, habe ich trotzdem eher wenige, denn die Jugendlichen hier wirken generell eher jünger und da gehen die gemeinsamen Interessen auseinander. So habe ich hier viele Freunde die etwas älter sind als ich. Oft haben die auch schon ein Auto, was ein großer Vorteil ist, denn der öffentliche Verkehr hier ist wirklich eine Katastrophe. Bus fahren ist sehr gefährlich, es gibt weder einen Plan oder gekennzeichnete Haltestellen, an U-Bahn, Straßenbahn oder Zug ist gar nicht zu denken. Falls ihr es doch wagen und mit dem brasilianischen Bus fahren wollt, holt euch auf jeden Fall den Rat eurer Gastfamilie und vermeidet es allein unterwegs zu sein.





Falls zukünftige Austauschschüler das einmal lesen werden, will ich ihnen auf jeden Fall noch ein Paar Tipps mit auf die Reise geben:

·         Schreibt Tagebuch. Es ist wunderbar sich auch in vielen Jahren noch einmal das Buch zur Hand zu nehmen und sich an all die Erlebnisse zurück zu erinnern.

·         Seid offen und probiert alles aus! Auch wenn die Brasilianer alle ein bisschen verrückt sind, muss man sich nur darauf einlassen, um voll und ganz in deren Kultur integriert zu werden. Habt keine Angst etwas falsch zu machen oder seid schüchtern. Nutzt jede Chance, die euch geboten wird, denn vielleicht kommt sie nie wieder in eurem Leben.

·         Durchhalten. Es wird Tage geben an denen ihr euch einsam fühlt, Heimweh bekommt, ihr euch missverstanden fühlt oder euch langweilt. Wichtig ist, dass ihr nicht aufgebt, denn auch die Zeit der Isolation geht vorüber.

·         Vermeidet es Englisch zu sprechen. Es scheint ja sehr verlockend, wenn man noch nicht gut Portugiesisch spricht, aber ihr solltet jede Chance nutzten die Sprache eures Gastlandes zu lernen, denn um so leichter wird es euch fallen, euch zu recht zu finden und Freunde zu finden.

·         Genießt es! Denn die Zeit vergeht viel zu schnell.



In den 5 Monaten, die ich nun schon hier bin, konnte ich viele Erfahrungen sammeln, habe eine zweite Familie am anderen Ende der Welt, konnte viele Freundschaften schließen und in eine andere Kultur eintauchen, die so anders ist und die ich trotzdem oder auch gerade deshalb zu lieben gelernt habe. Auch im Portugiesisch mache ich große Fortschritte und finde es unglaublich, dass es wirklich möglich ist, eine Sprache in so kurzer Zeit zu lernen. Ich bin sehr froh und Dankbar, dass ich die Möglichkeit bekommen habe ein Auslandsjahr zu machen und möchte einen besonderen Dank an den Adolf Würth GmbH und AFS Interkulturelle Begegnungen aussprechen, durch deren Unterstützung ich mir den Traum, ein Jahr in Brasilien zu verbringen, erfüllen konnte.


Ich denke, ich muss gar nicht mehr so viel schreiben, denn mit dem Text ist schon alles gesagt. Aber wenn ich schon einmal dabei bin, Danke zu sagen, will ich meine Familie und meine Freunde, die daheim in Deutschland auf mich warten nicht auslassen, denn auch sie haben trotz den Tausend Metern Entfernung noch immer ein offenes Ohr für mich und sind immer für mich da. Ich habe euch alle sehr lieb und vermisse euch.


Bis bald
Lena

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen